Die Kohlenhydrate gehören zu den grundlegendsten Nahrungssubstanzen in unseren Speisen und stehen doch durch die wachsenden Gewichtsprobleme zunehmend in einem kritischen Licht. Ängste vor den „unliebsamen Dickmachern“ überschatten ein freudiges Zugehen auf die täglichen Speisen. Unsicherheiten aber erzeugen Spannungen, welche die natürlichen Verdauungsvorgänge stören und dadurch den gesamten Menschen schwächen. Im folgenden sollen die Kohlenhydrate aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet werden, damit die eigenständige Beurteilungsfähigkeit steigt und einen freieren Umgang mit ihnen ermöglicht.
Was sind Kohlenhydrate? Wie kann man sie sich bildhaft vorstellen? Ein erster Versuch der Annäherung kann direkt über ihren Namen selbst erfolgen, denn er weist auf ihre chemische Zusammensetzung aus den Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff hin. Da diese Begriffe jedoch sehr abstrakt sind, gestaltet sich eine Vorstellung noch schwierig. Aus der Schulzeit besteht vielleicht die Erinnerung an sie als wichtige Energielieferanten, deren Brennwert in kcal angegeben wird. Dieser Wert findet sich auch in allen Kalorien-Rechentabellen wieder.
Sind die Kohlenhydrate aber wirklich nichts weiter als kcal, als eine technische Maßeinheit mit der die ideale Energiezufuhr berechnet werden kann? Und degradiert sich der Mensch durch das Kalorien-Zählen nicht zu einem reinen Energieverwerter, der vergleichbar einem Motor auf eine genau berechnete Treibstoffzufuhr eingestellt wird? Ein gewisses Befremden beschleicht das Gemüt bei solchen Vorstellungen, die tatsächlich weit von den reichhaltigen Lebensvorgängen der Kohlenhydrat-Entstehung entfernt sind.
Wasser, Luft und Licht sind die Elemente der Kohlenhydrat-Bildung
Wasser, Luft und Licht sind die wahrnehmbaren äußeren Elemente aus denen die Kohlenhydrate entstehen. Wasser, Luft und Licht bringen auch das Farbenspiel des Regenbogens hervor, aber ohne sich hier zur physischen Substanz der Kohlenhydrate verbinden zu können. Erst innerhalb der Pflanze wird dies möglich. Aus dem Wasser des Bodens nimmt die Pflanze den Wasserstoff auf und aus der sie umgebenden Luftsphäre saugt sie den Kohlenstoff ein. Im einstrahlenden Sonnenlicht erfolgt der geheimnisvolle Vorgang der Kohlenhydrat-Bildung.
Dieser Verwandlungsvorgang, in dem das Licht selbst als Energie in die physischen Substanzen eingebunden wird, ist unter dem Begriff „Photosynthese“ gut bekannt. Aber auch dieser Begriff erzeugt keine so rechte Empfindung für den gewaltigen Vorgang, der von der Wissenschaft als der wichtigste biochemische Prozess der Erde bezeichnet wird. Die Kohlenhydrate, die in der Photosynthese entstehen, sind die Bausubstanz und damit die Lebensgrundlage für alle Pflanzen und sie ernähren die Menschen und die Tiere, und ermöglichen erst deren Leben.
Tote Stoffe wandeln sich zu Lebensträgern
Kohlenstoff und Wasserstoff zählen wie die Steine und die Mineralien zu den toten, anorganischen Stoffen auf der Erde. Erst innerhalb des pflanzlichen Lebensgefüges passieren sie eine Schwelle, jenseits derer sie als lebende Substanzen auferstehen. Zusammen mit dem Sauerstoff sind sie zu einer lebendigen Substanz geworden, die sich vom Keimen und Blühen, über das Verwelken bis hin zur neuen Samenbildung in beständigen Metamorphosen weiter verwandelt. Jenseits der Pflanzen gehörten sie zur toten Materie und in den Pflanzen gestalten sie sich zu einem lebensvoll durchdrungenen Gefüge aus.

Das Geheimnis dieser Stoffesverwandlung kann von den einzelnen Stoffen ausgehend nicht erklärt und auch auf rein technischem Wege nicht nachgemacht werden. Sie findet nur im Strom der Lebenskräfte, die innerhalb der Pflanze walten, statt. Verbrennt eine Pflanze, dann verbleiben wieder die toten Stoffe Kohle und Wasser und kein noch so intensiver Lichtstrahl kann sie außerhalb einer Pflanze auf künstliche Weise je wieder zu einem Kohlenhydrat erwecken.
Rudolf Steiner unterschied deshalb sehr genau die toten Stoffe von den lebendig wirkenden Kräften. Die toten Substanzen, die nach dem Tode eines Menschen, eines Tieres oder einer Pflanze verbleiben, nannte er den „physischen Leib“, während er alle Kräfte, die die Lebensvorgänge erhalten und welche feiner und nicht materieller Natur sind, als den sogenannten „Lebensleib oder Ätherleib“ bezeichnete. Diese Lebenskräfte beschreibt er als die feinstofflichen Architekten für die lebenserzeugenden und lebenserhaltenden Vorgänge, wie sie eindrucksvoll in der Photosynthese der Pflanzen stattfinden. Die wirkenden Ätherkräfte sind die kosmischen Akteure, die die toten Stoffe veranlassen sich entsprechend dem „Bauplan“ oder der „Idee“, die der jeweiligen Pflanze zugrunde liegt, mit Hilfe des Lichts zu formieren, also schmale oder runde Blätter auszubilden oder die Form von Gurken oder eines Apfelbaumes zu erzeugen.
Kohlenhydrate sind Verwandlungskünstler
Die einfachste Form der Kohlenhydrate ist der Zucker, der als Traubenzucker glucose in der Photosynthese entsteht, als Reservestärke in der Pflanze eingelagert wird und aus der sich die gesamte Vielfalt der pflanzlichen Erscheinungsformen metamorphosiert.
Verdichtende Prozesse
Indem mehrere Zuckermoleküle im Lebensstrom der Pflanze aneinander gebunden werden, entsteht die Stärke. Sie ist im Gegensatz zum Zucker wasserunlöslich und kann deshalb als Vorratssubstanz in der Pflanze angereichert werden, wodurch das Fruchtfleisch der Gemüse und Früchte und der Mehlkörper in den Getreidekörnern entstehen und in allen Pflanzen deren Gerüst und spezifische Form sich bildet. Weitergehende Verdichtungsvorgänge der Kohlenhydrate lassen die für den Menschen unverdauliche Zellulose entstehen, welche in den Kleieanteilen und im Stroh der Vollkorngetreide zu finden ist, als Verholzungen in Rettichen, Kohlrabi oder Bohnen anzutreffen ist, die weißen Haaren der Baumwolle, sowie die Wurzeln und das Holz der Bäume bildet.

Verfeinernde, zur Auflösung tendierende Prozesse
Es gibt aber auch eine gegenteilige Metamorphose der Kohlenhydrate, von der Reservestärke ausgehend hin zu immer feiner und flüchtiger werdenden Stoffen, welche sich unter dem Einfluss der Sonnenwärme vollzieht. Die verwandelten Kohlenhydrate finden sich vor allem in den oberen Pflanzenteilen: in den Blüten, in denen sie in Form von Nektar von den Bienen gesammelt und zu Honig gemacht werden, im prächtigen Farbenspiel der Blütenblätter oder in den sich verströmenden Duftstoffen der stark flüchtigen ätherischen Öle; in den Früchten als süßer Geschmack und in den Kräutern als vielfältigste Aromen. Jeder kennt die Erfahrung, wenn nach sonnenreichen warmen Tagen die Früchte besonders süß und aromareich schmecken. Die Kohlenhydrate in Form der eingelagerten Stärke tendieren unter diesem Einfluss immer mehr zur Auflösung und zum Verströmen hin. Diese feineren Formen finden sich jedoch nicht nur in der Blütenregion, sondern können von manchen Pflanzen auch in der Wurzel, wie beim Ingwer oder der Zuckerrübe, im Stängel wie beim Zuckerrohr, in der Rinde wie beim Zimt oder in den Blättern wie bei vielen Kräutern eingelagert sein.

Wirkungen der verschiedenen Kohlenhydrate im Menschen
Das Spektrum der Kohlenhydrate reicht von sehr dichten, harten, verholzten und ungenießbaren Pflanzenteilen über die nahrhaften stärkehaltigen Getreide, Kartoffeln, Gemüse bis hin zu den anregenden und flüchtigen Düften und Aromastoffen in den Gewürzen oder beispielsweise im süßen Obst.
In Form der süßen Zucker, intensiven Aromen und Farbbildungen vermögen die Kohlenhydrate die Sinne freudig anzuregen und von da aus die Enzymbildung in der Verdauung zu fördern. Die Flüchtigkeit der ätherischen Öle bedeutet eine große Bereitschaft, sich zu verwandeln und sehr schnell mit anderen Stoffen zu reagieren, was wiederum auf den gesamten Stoffwechsel stimulierend wirkt. In ihrer dichteren Form als Cellulose in der Kleie beispielsweise absorbieren sie im Darm Schadstoffe, bieten den gesunden Darmbakterien einen idealen Nährboden und regen die Darmbewegungen kräftig an. In der Form als Stärke in den Getreiden, Kartoffeln, Hülsenfrüchten und Gemüse liefern sie eine Nahrungssubstanz, die dem Menschen seine wesentliche Substanzkraft für körperliche und mentale Aktivitäten zur Verfügung stellt. Vor allem für das Gehirn und das Nervensystem sind die Kohlenhydrate unerlässlich.
Kraftanregung durch die Kohlenhydrate
Die Stärke muss von der Verdauung erst schrittweise in die kleineren Zuckerbausteine zerlegt werden, um in die Zellen zur Energiegewinnung zu gelangen. Dadurch wird der Körper nicht mit Zucker überschwemmt, sondern erhält über einen längeren Zeitraum eine kontinuierliche Versorgung. Die Arbeitsleistung wie auch die Konzentrations- und Denkleistung können so auf einem gleichbleibenden Niveau erfolgen. Dr. Udo Renzenbrink weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung dieser aktiven Verwandlungstätigkeit hin, wenn der Mensch sich seinen Zucker innerlich selbst erzeugt. Er bezieht sich dabei auf Rudolf Steiner, der einmal aussprach, dass „… der Organismus seine höchste Kraft gewinnt, wenn er den Zucker aus der Stärke selbst bereitet.“1
Dieser Gedanke bezieht sich nicht auf den Energiegewinn, der durch die Aufnahme der Kohlenhydrate in Form von Kalorien entsteht, sondern auf die kräftigende Wirkung, die für den Menschen direkt aus seiner aktiven Stoffwechseltätigkeit im Verdauungsvorgang entsteht, indem er die Stärke selbst in Zucker verwandelt. Diese Aussage weitet auch den Blick auf die Problematik der Kohlenhydrate als Dickmacher. Die aktive Verwandlungstätigkeit von Stärke in Zucker macht einerseits die Kalorien verfügbar, verbraucht aber auch Energie. Vor allem aber fordert sie die Organe beständig in ihrer Leistungsfähigkeit heraus und stärkt sie damit in ihrer Funktionskraft. Kräftige Organe sind die Basis für einen gesunden und dynamischen Organismus und bilden einen Ankergrund für ein natürliches Zentriertsein in sich selbst.
Energiegewinn und Kraftverlust durch den Wandel in der Kohlenhydrat-Ernährung
Dr. Udo Renzenbrink stellte in einer Statistik dar, wie sich der Verbrauch der stärke- und zellulosehaltigen Getreideerzeugnisse und der Konsum von isoliertem Zucker von 1900 bis 1974 diametral gegenläufig entwickelt hat. Dieses Verhältnis hat sich seit 1974 bis heute sicherlich noch einmal zugunsten des Zuckers verlagert. Um 250g Stärke in Zucker umzuwandeln, muss der Organismus große Kraft aufwenden und wird kräftiger dabei. Um 102 g Kristallzucker aufzunehmen, bedarf es kaum eigener Aktivität und die Kalorien können den Organismus in großer Geschwindigkeit überfluten. Die Organe erlahmen, da sie kaum etwas zu tun haben und das zu Viel an isoliertem Zucker bewirkt einen spontanen Energieüberschuss und lagert sich in Form von überflüssigen Fetten ab.
Die Lebenskräfte in den Kohlenhydraten
Kaum Beachtung finden die wirkenden Lebenskräfte in den heranwachsenden Lebensmitteln. Kartoffeln treiben ihre Sprossen im Keller hervor, Karotten beginnen im Kühlschrank zu wachsen, der Ingwer sprosst im Gewürzkörbchen, die Zwiebel schiebt ihre röhrenförmigen Blätter zielstrebig nach oben und in jedem Getreidekorn schlummern die Lebenskräfte für neue Getreidepflanzen. Hier sind die Kohlenhydrate noch von lebendigen Kräften durchwoben, während diese im weißen Zucker oder in den raffinierten Auszugsmehlen vollekommen erstorben sind. Während das Getreidekorn noch nach tausenden von Jahren zu sprießen beginnt, ist im weißen Mehl jegliches Leben erloschen.
Auch aus dem Mehl frisch gemahlener Getreidekörnern können keine neuen Getreidehalme mehr hervorsprießen, aber dennoch entschwinden die lebendigen Kräfte, die die Körner durchweben, erst einige Tage nach dem Mahlen. Sogar eine halbbierte Karotte beginnt noch zu sprießen, weil sie vom kosmischen Lebensstrom noch nicht gänzlich abgeschnitten ist. Beim Verzehr eines ganzen Apfels, einer frischen Karotte oder von Salat müssen deshalb nicht nur die Kohlenhydrate verdaut und in verwertbare Zucker abgebaut werden, sondern auch die pflanzlichen Lebenskräfte vollständig abgebaut und überwunden werden. Diese Aktivität des Überwindens wirkt wie bereits erwähnt, sehr anregend und aufbauend für die Organe, ähnlich einer Bergtour, bei der der Wanderer die steilen Anstiege und Aufschwünge mit seinem Muskeleinsatz überwindet und gekräftigt daraus hervorgeht. Die stark vitalisierende Wirkung der Rohkost-Ernährung rührt nicht zuletzt von dieser hohen Aktivität her. Da der Organismus mit der Rohkost sehr stark herausgefordert wird, können über die Jahre hinweg die eigenen Lebenskräfte aber auch überfordert werden und erschöpfen.

In den raffinierten Zuckern und Mehlen fehlen die Lebenskräfte gänzlich und damit auch diese Art der Herausforderung für die Organe. So fehlen nicht nur die Ballaststoffe, Vitamine und Mineralien, sondern die pflanzlichen Lebenskräfte, die den menschlichen Organismus zum lebendigen und dynamischen Einsatz anregen. Die für den Menschen fremdartigen pflanzlichen Lebenskräfte werden durch alle Zubereitungsschritte und vor allem die industrielle Bearbeitung reduziert. Deshalb sind sie in frisch gekochter Nahrung bereits abgeschwächter vorhanden und in Fertigprodukten, die wochenlang in den Regalen lagern, vollständig erloschen. Nicht zu gering sollte die Anforderung sein, aber auch nicht zu stark.
Kohlenhydrate sind das Ergebnis eines kosmischen Lichtwirkens
Die Kohlenhydrate sind keine isolierten chemische Stoffe, wie der Name vermuten lassen könnte, sondern Lebensträger in einem lebenserhaltenden Kreislaufes, in dem das Licht der Sonne als kosmische Kraft mit jeder Mahlzeit im Menschen wirksam wird.
Wenn diese Vorgänge auf knappe Formeln und abstrakte Begriffe verkürzt werden, gehen für das menschliche Bewusstsein und Fühlen die lebensvollen Bilder verloren. Abstrakte Begriffe sind arm und leer und lassen die seelischen Empfindungen veröden. Spricht man dem Menschen ein Seelenleben zu, so wird es reicher, wenn er an diesen vielgestaltigen Lebensvorgängen mit seinem Bewusstsein teilnehmen kann. Da in der heutigen Zeit durch die vielen technischen Errungenschaften gerade diese Teilnahme an den lebendigen Vorgängen verloren geht, fühlt sich der Einzelne zunehmend isolierter und verliert den natürlichen Zusammenhang zu den ihn umgebenden Bewegungen des Leben. Depressive Stimmungen verlangen dann umso mehr nach Ausgleich durch ein überladenes und hochkalorisches Essen mit seinen gewichtigen Folgen.
Die Entstehung der Kohlenhydrate ist bis in die heutige Zeit naturwissenschaftlich nicht vollständig erklärbar und muss durchaus als ein geheimnisvoller Vorgang des Zusammenwirkens kosmischer mit irdischen Kräften bezeichnet werden. Über die Kohlenhydrate nimmt jeder Mensch mit jeder Speise an einer weiten Sphäre eines kosmischen Licht- und Kräftewirkens teil. Eine konkrete Anschauungsbildung zu diesen täglich stattfindenden Vorgängen weitet den Blick und das Bewusstsein und vielleicht auch den eigenständigen Umgang mit den Substanzen, die aus Wasser, Luft und Licht als Lebensgrundlage hervorgehen.
1 Dr. Udo Renzenbrink, „Ernährungskunde aus anthroposophischer Erkenntnis“, Schweiz 1988