Menschenbild

Ist der Mensch das, was er isst?

Der Ausspruch, „Der Mensch ist das, was er isst“, ist weltweit bekannt und er wird oft verwendet, vielfach, vermutlich ohne sich Gedanken darüber zu machen, was er für das eigene Selbstverständnis des Menschsein bedeutet, bzw. welches Bild des Menschen in ihm liegt. Dem soll hier einmal nachgegangen werden, damit sich verschiedene Ansatzpunkte leichter im Gespräch begegnen können. Ausgehend von dem Spruch selbst kann dies in einer Art Textarbeit geschehen, ohne zunächst weitere Informationen einbeziehen zu müssen.

Der Mensch ist das, was er isst, sagt mit anderen Worten, dass der Mensch das Ergebnis der Nahrungsmittel ist, die er zu sich nimmt. Die Nahrung hat also eine Bedeutung, die vor dem Menschen steht, weil sie die Ursache dafür ist, was der Mensch ist. Der Mensch mit seinem ganzen Wesen und seinen Qualitäten ist ein Produkt seiner Nahrung. Dies umfasst seine Gedankenkraft, seine Erlebensfähigkeit, seine Willenskräfte, seine kreativen Fähigkeiten, seine sozialen Impulse und auch seine seelischen Regungen und religiösen Empfindungen. All diese Qualitäten sind ein Resultat aus den täglichen Mahlzeiten. Er ist in all seinen Qualitäten ein Ergebnis aus physischen Substanzen, aus Mineralien, Fetten, Eiweißen, Kohlenhydraten, Spurenelementen, sekundären Pflanzenstoffen, Vitaminen usw.. Alleine die richtige Auswahl und Zusammensetzung der Nahrungsmittel ist entscheidend für eine positive oder negative Stellung im Leben und für die gesamte Entwicklung. Als Menschenbild erscheint ein Mensch, der sein ganzes Wesen, seinen Charakter und seine Persönlichkeit aus physischen Nahrungssubstanzen bezieht. Die materiellen Stoffe machen ihn zu dem, was ihn als Menschen ausmacht.

Ein anderes Leitmotiv als Grundlage für die Betrachtungen über die Ernährung schlägt Heinz Grill in dem Buch „Ernährung und die gebende Kraft des Menschen“ vor, indem er sagt: „Der Mensch ist so, wie er sich zur Nahrung in Beziehung setzt.“ Auch diese Aussage kann in gleicher Weise betrachtet werden und selbst über ihr inneliegendes Bild des Menschen Auskunft geben. Es sind der Mensch, die Nahrung und die Möglichkeit des Menschen, sich in Beziehung zu ihr bringen, angesprochen, und weiterhin, dass der Mensch ein Ergebnis dessen ist, wie er sich in Beziehung bringt. Ein sehr aktives Element der Beziehungsaufnahme durch den Menschen liegt darin, in welchem er vielleicht seine Freude, Gierigkeit, Wertschätzung, Achtlosigkeit, Interesse oder Dankbarkeit hineinlegen kann und darin sich selbst ausdrückt, wie er ist. Es erscheint das Bild eines Menschen, der nicht von äußeren materiellen Dingen in seinem Menschsein und seiner Individualität bestimmt wird, sondern der so ist, wie er selbst die Beziehung zur Ernährung gestaltet und dem auch die Fähigkeit dazu zugesprochen wird.

Es wird deutlich, dass beide Aussagen von grundlegend verschiedenen Bildern über die Natur des Menschseins ausgehen. Der Ausspruch „Der Mensch ist das, was er isst.“ stammt von dem Philosophen Ludwig Feuerbach, der Mitte des 19. Jahrhunderts eine rein auf das Materiell-Physische ausgerichtete Sicht der Welt vertrat, als Gegenthese zu anderen Philosophen, die den Geist als die Grundlage des Seins betrachteten und erforschten. Feuerbach reduzierte den Menschen auf die Nahrung, indem er sagt: „Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn und zu Gedanken und Gesinnungsstoff.“ In dieser Zeit stieg auch die Chemie als Wissenschaft der messbaren Stoffe zur neuen Leitwissenschaft auf. Heinz Grill geht von einer Sichtweise aus, in der der Mensch als seelisches Wesen, sich sowohl zur irdisch-materiellen Welt, wie etwa der Ernährung, als auch zu einer geistig existierenden Realität in Beziehung bringen kann. In dem damit einhergehenden Entwicklungsprozess ist es der Mensch selbst, der bewirkt, wie er ist.

Die rein auf der physisch-materiellen Sichtweise beruhenden chemischen Untersuchungen* über die Wirkungsweisen der Nahrungsmittel stehen aber dennoch nicht in einem Widerspruch zu dem Leitmotiv von Heinz Grill. Die Nahrungsmittel stellt auch er in ihrer Wirkung auf den Menschen sehr anschaulich und ausführlich dar und auch im Sinne ihrer geistigen Bedeutung. Seine Ausführungen regen eine Interessensvertiefung und aktive Erweiterung im Leben an und die Nahrung erhält dabei ihre Zuordnung zum Menschen. Die Nahrung ist ein Begleiter bei dem Prozess der persönlichen Auseinandersetzung und sie kann ihm die notwendige substanzielle Grundlage dafür geben oder es ihm auch erschweren, je nachdem, wie sie gewählt wird. Der einzelne Mensch aber ist aktiver und freier Gestalter seines Lebens und seiner Entwicklung. Die Nahrung kann ihn dabei unterstützen, wie er sich aber zur Nahrung in Beziehung bringt, das drückt eine Aktivität seiner Seele aus.

Der Satz „Der Mensch ist das, was er isst.“ begegnet mir sehr oft in Gesprächen über die Ernährung und deshalb entstand in mir das Bedürfnis ihn einmal differenzierter zu betrachten. Oft wird er ohne großes Nachdenken ausgesprochen und gibt dabei einer Denkrichtung Raum, die weg von einem freien und entwicklungsfreudigen Bild des Menschseins führt.

Ästhetischer Ernährungskreis