Das Verdauungssystem zwischen Schwäche und Überforderung

Im Verdauungssystem findet eine Begegnung statt zwischen der äußeren Welt der Pflanzen, Tiere und Mineralien und der innersten Welt des Menschen. Mit jedem Nahrungsmittel werden in den menschlichen Organismus vollkommen fremdartige Stoffe hinein genommen, mit denen er sich intensiv auseinander setzen muss, um sie zu menschlichen Substanzen und Energiestoffen verwandeln zu können. Dies gelingt umso besser, je günstiger die Verdauungskräfte zum Eingreifen gebracht werden. Die Verdauung ist Teil des Stoffwechselsystems, in dessen Namen dieser bedeutungsvolle Vorgang des Verwandelns der Stoffe bereits anklingt.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte haben sich die Lebensbedingungen sehr stark zum Nachteil dieses Systems verändert und führen zu Schwächungen, die zunehmend schon bei Kindern auftreten. Besonders zu erwähnen ist hier die tägliche Überladung des Menschen mit tausendfachen Eindrücken aus Medien, Computerwelt, Lärm und durch die Schnelligkeit unseres Alltags. Eine ruhige Begegnung und Nähe kann zu den schnelllebigen Eindrücken nicht erfolgen und deshalb hinterlassen sie Stress, Leistungsdruck und undefinierbare Spannungszustände im Nervensystem. Diese bedrängenden Einflüsse regen den Sympathikus-Nerv zur verstärkten Adrenalinausschüttung an, welches die Verdauungsvorgänge hemmt. Die Verdauungsorgane bedürfen ruhiger und entspannter Phasen, in denen der Parasympathikus-Nerv seine aktivierende Wirkung für sie freisetzt. Die Überladung von außen bedeutet ein Ungleichgewicht, sie schwächt die Verdauung als lebenserhaltendes System und reduziert den ganzen Menschen in seinen Möglichkeiten einer bewussten Beziehungsaufnahme und der daraus folgenden eigenständigen Führung des Lebens.

Parallel zur mentalen Überflutung gesellt sich der Mangel an Bewegung als weiterer lähmender Faktor für die gesamte Verdauung hinzu. Und schließlich erreicht den Menschen über die ballaststoffarmen Nahrungsmittel ein dritter schwächender Einfluss. Verstopfung, Blähungen, Pilzbefall, Reizdarm und verschiedene weitere Symptome sind auf körperlicher Ebene Ausdruck der Schwächungen. Achtzig Prozent des menschlichen Immunsystems, das wiederum an der Schwelle von außen nach innen arbeitet und sich mit eindringenden Fremdstoffen konfrontieren muss, befindet sich in den Darmwänden. Es ist leicht nachvollziehbar, dass geschwächte Verdauungsfunktionen auch die Reaktionsbereitschaft des gesamten Immunsystem herabmindern.

Zur Anregung der Verdauungsfunktionen und der Darmperistaltik wird häufig eine Umstellung auf mehr Rohkost und vollwertige Produkte angeraten, da diese unter anderem durch den höheren Zelluloseanteil aktivierend auf die Darmwände und günstig auf das Darmmilieu wirken. Aber gerade hinsichtlich der Nahrungsaufnahme führen Schwächen in der Verdauung dazu, dass sogar gesündere Nahrungsmittel Probleme bereiten können. Nicht selten ist zu beobachten, dass der Darm mit den rohen Gemüsen und Vollkornprodukten überfordert ist und vermehrt Säuren, Gase oder auch Fäulnisstoffe sich bilden, die wiederum den Organismus belasten. So können selbst biologische Gemüse oder Getreide ungesund wirken, wenn wir sie in der Verdauung nicht ausreichend bewältigen können.

Leider führen solche Erfahrungen fälschlicherweise zu dem Eindruck, dass vor allem Vollkornprodukte generell schlecht verträglich seien. Was aber kann der Einzelne konkret tun, wenn die als gesünder angepriesenen und empfohlenen Nahrungsmittel in der Praxis sich als scheinbar unbrauchbar erweisen? Zunächst erscheint es für jede Diät- oder Ernährungsform unabdingbar das Verdauungssystem ausreichend zur Kenntnis zu nehmen. Bleiben die Verdauungsorgane in ihrer Verfassung unberücksichtigt, erfolgen einseitige bis hin zu völlig falschen Bewertungen einzelner Nahrungsmittel. Vor allem aber fehlt ein wesentliches Element für eine ganzheitliche Sicht, die über die Nahrungsmittel hinaus auf die lebendigen Wechselwirkungen des Lebens blickt.

Mit der Speise strahlt gleichzeitig eine Ruhe aus.

Der Koch kann gerade im Bezug auf eine gute Verdaulichkeit der Speisen sehr viel tun und sie so zubereiten, dass sie weder unter- noch überfordernd auf die Verdauung wirken. Beispielsweise entfalten gute Öle bei ausreichender Verwendung eine dynamisierende Wirkung auf die Verdauung. Unabhängig von der Wahl bestimmter günstiger Nahrungsmittel kann der Koch aber ganz besonders das den ganzen Menschen schwächende Verhältnis der beständigen nervlichen Überladung von außen bedenken und bereits hier heilsam ansetzen. Indem er die Speisen beispielsweise so gestaltet, dass sie schon bei ihrem Anblick beruhigend auf den Menschen wirken, aktiviert sich der Parasympathikus und bringt die Verdauungskräfte mehr zum eingreifen. In der Ruhe kann der Einzelne die Speisen natürlicher wahrnehmen und wird in seinen bewussten und empfindenden Fähigkeiten angeregt, welche ihm mehr seelische Stabilität geben.

Die Verantwortung des Kochs endet nicht in dem Moment, wenn er die Speisen auf dem Tisch serviert, sondern erst wenn sie von den Gästen oder der Familie gut vertragen wurden. Bezieht er die Gedanken an eine gute Verdaulichkeit und eine Kräftigung des Verdauungssystems beim Zubereiten der Speisen ernsthaft ein, setzt er bereits in einer größeren Weite an, die ihn feinfühliger und kreativer werden lässt. Neben guten Nahrungsmitteln liegt gerade in der Art des Zubereitens eine viel zu wenig bekannte heilkräftige Fähigkeit, die der Koch erlernen und entwickeln kann und die nicht zuletzt auch auf ihn selbst stärkend wirkt.