Sehr interessant ist der Zusammenhang zwischen der Arbeit der Verdauungsorgane und den menschlichen Sinnesorganen, denn ohne die anregenden Sinneseindrücke sind die Speisen fast unverdaulich. Noch bevor wir den ersten Bissen zu uns nehmen, beginnen sie ihre Wirksamkeit zu entfalten. Bei allen Mahlzeiten stehen sie an primärer Stelle, wenn uns der Duft der Speisen im Raum empfängt, uns die Speisen in ihren Formen und Farben auf dem Teller entgegen kommen und wir die Aromastoffe auf der Zunge schmecken. Dies alles geschieht, bevor die Speisen überhaupt im Magen ankommen und bevor die einzelnen Substanzen wirksam werden können.
Die Sinneseindrücke sind wie einen Torbogen zum Einlass der Nahrung. Sie bestimmen, ob wir der Nahrung wohl gesonnen begegnen oder ob wir ablehnende Gefühle gegen sie entwickeln und uns vielleicht sogar der Appetit vergeht. Diese enge Beziehung von den Sinnen zur Verdauungsaktivität erleben wir fast täglich, wenn durch den guten Duft oder den schönen Anblick einer Speise sozusagen das Wasser im Mund zusammenläuft, als Zeichen der Erwartung und Freude auf die kommende Nahrung. Der ganze Mensch erfährt sich in einer Offenheit gegenüber der Nahrung, wenn ihm angenehme Sinnesreize begegnen. Ohne dass noch eine erste Berührung mit der Speise stattgefunden hätte, ist die Mundverdauung schon in aktiver Tätigkeit und Bereitschaft für die Nahrungsaufnahme.
Es bedarf der inneren Zustimmung und Bejahung des Menschen zu den Speisen, damit die Verdauungsorgane aktiv werden können. In der Folge beginnen auch Magen, Bauchspeicheldrüse und Galle ihre Verdauungssäfte intensiv zu produzieren und begegnen den Nahrungsmitteln mit einer guten Verdauungsleistung. Prof. Glatzl erforschte diese Wechselwirkungen ausgiebig und stellte fest, dass ungewürzter Reis mangels Geschmacksanregung, sehr schwer verdaulich ist und sogar zu messbaren Belastungen für Herz und Kreislaufsystem führt. Erstaunlich ist auch seine Entdeckung, dass Gewürze, die man ohne sie zu schmecken hinunterschluckt, keinerlei anregende und verdauungsfördernde Wirkungen entfalten.
Unsere Verdauung hängt also vom bewussten Beteiligtsein des Menschen an den Speisen ab, denn erst über das freudige Wahrnehmen durch die Sinne beginnen auch die Verdauungsorgane mit ihrer Arbeit. Beim Anblick einer faden, wenig gestalteten Speise kann man direkt beobachten, wie die Kehle enger wird und sich der Magen abwehrend verschließt.
Die heilsame Zubereitungskunst blickt deshalb über die einzelnen Nahrungssubstanzen hinaus, denn sie nähren den Menschen nur schlecht, wenn sie den Sinnen nicht durch den Koch harmonisch entgegen gebracht werden. Der Mensch muss als empfindendes, wahrnehmendes und bewusst beteiligtes Wesen in die gesamte Zubereitung der Nahrung mit einbezogen und in diesen Fähigkeiten angesprochen und gefördert werden. Sehr viele Menschen nehmen sich heute zu wenig Zeit zum Essen und nehmen die Mahlzeiten nebenbei zu sich, beim Zeitunglesen, Fernsehen, Musikhören, Autofahren oder einfach ganz schnell im Stehen. Die Sinne können auf diese Weise kaum am Essen teilnehmen, da sie in anderen Aktivitäten eingebunden sind oder weil gar keine Zeit zum Schmecken bleibt. Es könnte ein guter Ansporn für den Koch sein, Mahlzeiten so zu bereiten, dass sie durch ihre Formen, Farben und ausgewogenes Geschmackserleben ein freudiges Interesse wecken und ganz natürlich die Wahrnehmung zu den Speisen fördern, ohne sie zu überladen. Die sinnesfreudige Anregung beteiligt ganz natürlich den Menschen als empfindendes Wesen und wirkt unmittelbar steigernd auf die gesamte Enzymatik in der Verdauung.