Wie kann ein Geben an die Natur beginnen? Teil 1

Am Beispiel der Waldheidelbeere

Um unseren Körper am Leben zu erhalten müssen wir regelmäßig etwas essen und von der Natur etwas nehmen. Dieses Nehmen ist zunächst weder schlecht noch gut, weil es in der Natur der Sache liegt. Es drückt sich sogar eine sympathische, lebensbejahende Geste aus, wenn jemand sich an den Speisen erfreut. Gleichzeitig aber wächst das Ungleichgewicht, in dem die Natur erschöpft, die Böden auslaugen, die Pflanzen anfälliger werden. Ihr Geben ist zu einseitig und sie scheint von Seiten des Menschen eine wirkliche Gabe zu brauchen.

Viele entschlossene Personen und Initiativen kämpfen für die Natur und auch spirituelle Gedanken richten sich darauf, wie ein aufbauendes Geben des Menschen an die Natur erfolgen kann. Als Autor geisteswissenschaftlicher Bücher sieht Heinz Grill beispielsweise in dem Potential des Menschen, gebend auf die Natur zu wirken, eine zutiefst spirituelle Entwicklungsfrage. Ebenso ist in der biodynamischen Landwirtschaft das große Anliegen, nicht nur gute Produkte für den Menschen zu gewinnen, sondern wie durch die Anbauweise die Natur auf beste Weise gefördert werden kann.

Heinz Grill formulierte bei einem Vortrag folgenden Gedanken:

„Begibt man sich aber auf diese weitere Ebene des Seelendaseins und schließlich
sogar auf die geistige Dimension, die im Menschen wurzelt, dann kann man so langsam erahnen,
dass mit jeder Handlung auch der Erde etwas grundsätzlich als Gabe wieder zurückgegeben werden kann.“
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„Mit jeder Handlung“ also ohne spezielle Handlungen kann „der Erde etwas grundsätzlich als Gabe wieder zurückgegeben werden …“. Auch wenn sich ein solcher Gedanke nicht sogleich umfassend erschließt, kann er dennoch mehr fragend und beobachtend zum praktischen Leben hinzukommen. Während dem Pflücken von Waldheidelbeeren begleitete mich dieser Gedanke und die Frage: „Ich nehme die Beeren, die mir die Natur gibt, worin liegt nun mein Teil des Gebens bereits während dem Pflücken?“

Die angesprochene „Ebene des Seelendaseins“ scheint bedeutend zu sein. Heinz Grill beschreibt sie im weiteren Verlauf mit der Fähigkeit in Beziehung zu treten, die Nahrungsmittel sogar näher zu studieren mit klaren Wahrnehmungen und konkreten Beobachtungen.

Ich betrachtete die gesamte Pflanze genauer, also wo die Beeren herauswachsen, wie sie angeordnet sind, auch im Verhältnis zu den Blättern, die charakteristische Wuchsart der ganzen Pflanze, usw.. Obwohl ich in der Vergangenheit schon vielmals Heidelbeeren gepflückt hatte, bemerkte ich etwas beschämt, dass ich sie nicht wirklich gut beschreiben könnte.

Am Abend waren die Eindrücke noch sehr lebendig: die weißlich “bereiften“ Beeren in ihrem matten Blau, zwischen den Blättchen sitzend und locker über den ganze Strauch verteilt. Sie neigen sich nach unten, aber auch horizontal nach außen und nach oben – wie heiter und verspielt.

Die Beeren reifen nicht in der vollen Sonne,
sondern im Schattenspiel zwischen den Blättern.

Eine gewisse Leichtigkeit drückt sich aus und gleichzeitig ein zusammenziehendes Element in den harten, verholzten Stängeln und den kleinen Beeren und Blättchen.

Ganz bewusst hatte ich einige Früchte gekostet. Einerseits waren sie fruchtig, leicht säuerlich und andererseits boten sie eine sehr milde Süße und je nach Standort waren sie sehr saftig erfrischend oder etwas trockener oder sogar fast mehlig. Im Mund verblieb neben der blauen Farbe ein zusammenziehendes Empfinden.

Noch nie zuvor hatte ich die Heidelbeere so aufmerksam angeschaut und wahrgenommen. Die Verzweigungen sind immer wechselständig und auch die Blättchen wachsen immer versetzt auf einer Ebene aus den Stängeln – und insgesamt recht bewegt. Die Beeren wachsen einzeln jeweils aus den Blattachseln heraus.

Je mehr ich sie mir bewusst angeschaut hatte, umso mehr kamen weitere Fragen auf. Welche ersten Hinweise kann man von ihrer äußeren Erscheinung auf ihre Wirkungen erhalten? Welche Zubereitungsart könnte der Heidelbeere entsprechen? Wie lässt sich die Heidelbeere richtig charakterisieren, welches Wesen drückt sie aus?

Es ist sogar günstig beim Betrachten einmal nur von dem auszugehen, was man wahrnehmen kann und alle Informationen und Bewertungen über gesund und ungesund oder die Inhaltsstoffe, die man bereits kennt, zunächst einmal beiseite zu stellen. In dieser Weise erhält die Heidelbeere unmittelbar im gegenwärtigen Moment einen Raum der Betrachtung und des Interesses, in dem sie sich ganz zeigen kann in ihrer ureigenen Art. Sie erhält die ganze Aufmerksamkeit.

Die Bewegung fließt mehr hin zu der Heidelbeere, es fließt ihr tatsächlich etwas zu und es wird spürbar, wie eine feine Beziehung zu ihr entsteht, die über ihren gesundheitlichen Nutzen oder möglichen Gaumengenuss den sie bieten kann, hinaus reicht. Ein erster gebender Aspekt könnte sich darin ausdrücken.

Starkes Rot zeigt sich in der Herbstfärbung

Herbstliche Blätter und neue Triebspitzen

Reife Beeren und viele neue Triebe

1) Heinz Grill: Vortag „Impulse für eine neue Ernährungskultur“ in Herzele, Belgien am 4.5.2019